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„Die Vorurteile haben sich nicht bewahrheitet“

23.05.2024

Seit zehn Jahren bietet das Kolping-Jugendwohnen Schweinfurt ein zuhause für unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Als spontane Hilfsaktion gestartet, hat sich das Projekt inzwischen an verschiedenen Standorten fest etabliert.

Es ist nicht leicht, sich an einem Vormittag in den Pfingstferien in aller Ruhe mit Lisa Glaser über ihre Arbeit mit unbegleiteten Minderjährigen Geflüchteten im Jugendwohnen Schweinfurt zu unterhalten. Erst noch das Telefonat mit dem Jugendamt beenden. Dann mit Ebrama, der vor der Tür des Betreuer-Büros wartet, klären, was er denn braucht. Der 16-jährige Gambier lächelt Lisa Glaser an und zeigt ihr sein Handy „Ich möchte, dass Seife meine Wäsche wäscht“ schreibt die Übersetzungs-App. Kryptisch – doch für die Betreuerin ist die Nachricht klar. Sie lächelt zurück, nickt, holt einen Waschmittel-Pod aus dem Schrank und gibt ihn dem Jugendlichen.

Ihre Wäsche selbstständig zu waschen ist nur einer der zahlreichen Schritte, die die aktuell 16 Jugendlichen aus Syrien, Afghanistan, Somalia, Gambia, Guinea und Benin auf dem Weg in die Selbstständigkeit meistern. Das Erlernen der deutschen Sprache, der regelmäßige Schulbesuch, die Erledigung von alltäglichen Besorgungen sowie von Arzt- und Behördenterminen gehören ebenfalls dazu. Und nicht zuletzt auch der Ausbau von Soft-Skills wie Zuverlässigkeit und Höflichkeit. Mit immer wieder neuen jungen Menschen arbeitet das Kolping-Team hieran seit nunmehr zehn Jahren.

Pionierarbeit bei Kolping Schweinfurt

„Als erste Einrichtung von Kolping in Bayern hat sich das Jugendwohnen Schweinfurt auf die Herausforderung der Unterbringung und Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten eingestellt“, berichtet Maria Kraft stolz. Als Geschäftsleitung des Kolping-Bildungszentrums Schweinfurt hat sie das Projekt mit auf den Weg gebracht und seitdem eng begleitet und unterstützt. Der Anstoß kam damals über die Jugendämter, die von der ersten Flüchtlingswelle 2013 vor enorme Probleme gestellt wurden – vor allem bezüglich der adäquaten Versorgung der jungen zumeist männlichen Geflüchteten. Aus Afghanistan, Syrien und Somalia kamen nach ihrer Flucht zahlreiche junge Menschen im Süden Deutschlands an. Schnelle Hilfe und Handeln war dringend nötig.

So hat das Team in Schweinfurt auf den Hilferuf der Behörden im Dezember 2013 schnell reagiert und Konzeption, Verhandlungen – und vor allem ein Pädagogen-Team – innerhalb von nur einem Monat auf die Beine gestellt. Ende Januar 2014 kamen die ersten acht Jungen aus Somalia in das Jugendwohnen nach Schweinfurt. „Sprache, Kultur, Essgewohnheiten der jungen Menschen; vor allem aber die psychischen Fluchtbelastungen: Alles musste mit viel Einfühlungsvermögen und Geduld behandelt werden“, erinnert sich Maria Kraft.

Suche nach neuen Möglichkeiten

Kolping Schweinfurt hat im weiteren Verlauf auf die drängende Not und Bitten weiterer Einrichtungen reagiert und in großer Geschwindigkeit weitere Jugendwohnen-Einrichtungen geschaffen. Insgesamt hat Kolping Schweinfurt damit bis heute rund 400 jungen Geflüchteten eine Heimat auf Zeit geboten.

Als ab 2017 weniger Geflüchtete nach Deutschland kamen, wurden einige Einrichtungen wieder geschlossen. Inzwischen ist der Bedarf an Betreuungsplätzen wieder gestiegen, weshalb das Kolping-Team aktuell wieder neue Möglichkeiten erschließt. Zwei Punkte sind hierbei entscheidend: geeignete Räumlichkeiten und geeignetes Personal.

Höflich und respektvoll

Lisa Glaser, die Betreuerin im Schweinfurter Jugendwohnen, ist erst seit Anfang 2024 als Betreuerin für unbegleitete minderjährigen Geflüchtete tätig. Bereut hat die gelernte Heilerziehungspflegerin, die zuvor mit schwerstmehrfachbehinderten Menschen gearbeitete hat, den Schritt hin zu einer neuen beruflichen Herausforderung nicht: „Alle Vorurteile, die man so gehört hat, haben sich hier nicht bewahrheitet. Die Jungs waren von Anfang an wirklich höflich und respektvoll – natürlich mit Ausnahmen, aber das ist ja normal bei Teenagern“, erzählt sie lachend. Besonders ist ihr eine Situation aus der Anfangszeit im Gedächtnis geblieben: „An meinem zweiten Tag wollte ich mich kurz raus auf die Terrasse setzen. Zehn Stühle waren frei, einer besetzt. Da ist der Junge sofort aufgesprungen und hat mir seinen Platz angeboten. Das war so nett!“

Natürlich gibt es im Arbeitsalltag im Jugendwohnen auch frustrierende Erlebnisse: Wenn Jugendliche die angebotene Hilfe ausschlagen. Oder wenn sich bürokratische Abläufe gefühlt bis ins Unendliche ziehen. Da sind es vor allem die positiven Entwicklungen innerhalb der Gruppe, die Lisa Glaser bestätigen, im Jugendwohnen am richtigen Ort zu sein.

Gemeinsam essen, gemeinsam Spaß haben

Sie erzählt: „Das Essen und die Zustände in Küche haben immer wieder zu Konflikten geführt. Jetzt haben wir – auch gegen anfängliche Widerstände – eingeführt, dass jeden Tag eine Kleingruppe gemeinsam mit einem Betreuer oder einer Betreuerin für alle kocht. Für die Kleingruppen haben sich die Jugendlichen aus einer Nation zusammengetan. Am Anfang haben alle versucht, ihre nationalen Lieblingsspeisen ‚durchzudrücken‘. Inzwischen nehmen sie mehr Rücksicht aufeinander und bieten auch Alternativen an. Und weil sie sich über das Essen austauschen, kommen sie auch insgesamt mehr ins Gespräch.“

Ein weiteres Highlight aus der letzten Zeit war die Etablierung eines Schwimmkurses. Da sich die Jugendlichen oft und gerne am Main aufhalten wollte das Jugendwohnen-Team möglichen Unfällen vorbeugen und wandte sich an die TG 48 Schweinfurt. „Die Turngemeinde hat sich sogar darum gekümmert, einen Kurs für uns auf die Beine zu stellen. Sie haben sogar noch jemanden geholt, der in den ersten Stunden ins Arabische übersetzen kann“, schwärmt Lisa Glaser von der Zusammenarbeit mit dem Verein. In den Pfingstferien unternahmen zuletzt alle Jugendlichen – egal ob sie gerade am Schwimmkurs teilnehmen oder nicht – einen Ausflug ins Schweinfurter Hallenbad Silvana. Eine tolle Erfahrung für alle, so Lisa Glaser: „Es gab mal keine Grüppchenbildung mehr, sondern alle haben miteinander interagiert. Das war richtig schön zu sehen.“