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BAG KJS: Forderungen zur Europawahl 2024

09.04.2024

Die Wahlen in Europa fallen in eine Zeit, in der Menschenwürde, demokratisches Miteinander, Solidarität nach innen und außen, Frieden und Freiheit sowie wirtschaftliche Zusammenarbeit noch wesentliche Säulen der EU sind. Diese Säulen bleiben nicht selbstverständlich stabil, sie müssen erhalten und gestärkt werden.

Vor allem junge Menschen erleben in allen europäischen Staaten zunehmend, dass Herkunft und Lebensweg eines Menschen nicht in gleicher Weise wertgeschätzt werden. Sie hören populistische und schrille Debatten ohne erkennbaren Willen zum Kompromiss. Sie spüren im Alltag soziale Unterschiede und eine fehlende Bereitschaft, füreinander einzustehen. Sie sehen den Krieg gegen die Ukraine auf dem europäischen Kontinent, die undurchlässig werdenden Grenzen oder das Erstarken des Nationalismus. Trotz einer immer noch starken europäischen Wirtschaft gehören Angst vor Inflation, Rezension, Transformation, Klimakollaps und einbrechenden Handelsströmen zum Grundrauschen ihrer Nachrichtenquellen.

In dieser Lage wählt Europa sein einzigartiges Parlament mit Abgeordneten aus 27 europäischen Staaten. Die Mitglieder des Europäischen Parlaments vertreten die Interessen von Millionen Menschen aus unterschiedlichen Regionen im Dialog mit der europäischen Kommission und dem Europäischen Rat. Junge Menschen ab 16 Jahren können in Deutschland zur Wahl 2024 erstmalig ihre Stimme abgeben und mitbestimmen, welche Richtung Europa in Zukunft nimmt.

Für junge Menschen, die von Fachkräften der Jugendsozialarbeit begleitet werden, kann Europa bei allen Herausforderungen eine Chance sein. In ihrem Interesse formuliert die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit zur Europawahl Erwartungen an die künftigen Mitglieder des Europäischen Parlaments.

Demokratiebildung in der Jugendsozialarbeit strukturell und finanziell
stärken!

Nationalist*innen und Rechtsextreme greifen die Demokratie in vielen europäischen Staaten an. Sie nutzen soziale Medien und selbst Instrumente der Demokratie und des Rechtsstaates, um Einfluss auszuüben, autoritäre Strukturen aufzubauen und Macht zu ergreifen. Menschen mit positiver Haltung zur Demokratie, mit Wissen und Erfahrung in demokratischen Prozessen können dem widerstehen. Fachkräfte in der Jugendsozialarbeit müssen laufend qualifiziert werden, um notwendige Kompetenzen bei jungen Menschen stärken zu können. Eine entsprechende finanzielle Förderung ist notwendig, auch für gezielte lebensweltorientierte Angebote und Maßnahmen für und mit jungen Menschen aus den Feldern der Jugendsozialarbeit. Dabei ist insbesondere auf eine bürokratiearme Antragsstellung hinzuwirken.

Politische Beteiligung weiterentwickeln!

Junge Menschen brauchen Räume und Gelegenheiten, demokratisches Miteinander zu erleben. Sie müssen wirksam politisch beteiligt werden. Dazu sind unbedingt mit und für alle jungen Menschen Instrumente und Prozesse der politischen Beteiligung weiterzuentwickeln. Mitglieder des Europäischen Parlaments müssen den Dialog nicht nur in ihren Wahlkreisen suchen, sondern junge Menschen zum Dialog im Rahmen ihrer parlamentarischen Arbeit nach Straßburg und Brüssel einladen. Eine wirksame Methode ist der EU-Jugenddialog. Außerdem sollte sich das Europäische Parlament gemeinsam mit Kommission und Rat dafür einsetzen, das Wahlalter in Europa einheitlich auf 16 Jahre zu senken.

Solidarität und Gerechtigkeit stärken!

Solidarität kann sich entwickeln, wenn junge Menschen einander in Schule, Ausbildung und Beruf oder in non-formalen Kontexten begegnen und vom Leben der anderen erfahren.

Die Mitglieder des Europäischen Parlaments müssen weiterhin das bewährte und viel genutzte Programm Erasmus+ stärken und inhaltliche Weiterentwicklung einfordern. Der inklusive Ansatz im Europäischen Solidaritätskorps kann ebenfalls weiterentwickelt werden; oder sozialpädagogisch begleitete berufliche Praktika im Ausland, denn insbesondere junge Menschen mit schwierigen Voraussetzungen brauchen niederschwellige Zugänge. Das Europäische Parlament muss den Rahmen für gleiche Bildungschancen in Europa schaffen und den Austausch zwischen den Nationalstaaten in der Bildungspolitik aktivieren. Beispielsweise sind erfolgreiche Strategien zur Vermeidung von Schulabsentismus und multiprofessioneller Zusammenarbeit in Bildungseinrichtungen zu vergemeinschaften.

Jugendarbeitslosigkeit bleibt in einigen Ländern Europas ein großes Problem. In anderen sind die Wege in die Ausbildung und Beruf offen. Für junge Menschen aus Staaten mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit können Deutschland und andere europäische Staaten Perspektiven bieten. Eine Kofinanzierung durch den Europäischen Sozialfonds ermöglicht Maßnahmen und Projekte, benachteiligten jungen Menschen eine berufliche Orientierung, eine Chance auf eine Ausbildung und – etwa im Jugendwohnen – einen Anker fern der Heimat zu geben. Zudem braucht die Säule sozialer Rechte, in der 20 Grundsätze für eine stärker inklusive und faire Europäische Union festgelegt werden, eine stärkere Orientierung auf junge Menschen.

Kampf gegen Armut zum Schwerpunkt des Handelns machen!

Armut bedeutet, dass junge Menschen nicht mehr satt werden, dass sie beengt wohnen oder Obdachlosigkeit droht. Armut bedeutet, dass gesundes Aufwachsen nicht garantiert ist, dass der Bewegungsradius klein bleibt und Freundschaften leiden. Armut bedeutet, dass der Bildungsweg mühsam ist. Armut bedeutet, zunehmend unsichtbar zu werden, Teilhabe einzubüßen und Würde zu verlieren.

Junge Menschen sollen ein menschenwürdiges Leben in einer wirtschaftlich starken Gemeinschaft führen können. Priorität europäischer Politik muss deswegen sein, dass gesunde Lebensmittel erschwinglich sind, ausreichend bezahlbarer Wohnraum gefördert wird, öffentliche Mobilitätsangebote ausgebaut und möglichst kostengünstig genutzt werden können.

Die Mitglieder des Europäischen Parlaments können verlässliche und an der Menschenwürde orientierte Standards schaffen – für alle, die bereits in Europa leben und alle, die ein menschenwürdiges Leben in Europa suchen. Ein Beispiel ist die Jugendgarantie, die weiterentwickelt werden muss.

Klima- und Digitaltransformation für alle gerecht gestalten!

Der Klimawandel ist längst nicht nur messbar, er ist sichtbar und spürbar im Alltag. Junge Menschen in Europa – unabhängig von Herkunft, sozialer Lage oder Bildungsgrad – erwarten entschlossene Maßnahmen. Die Initiativen müssen auf wissenschaftlicher Grundlage durch die Legislative und Exekutive auf allen föderalen Ebenen der EU umgesetzt werden. Junge Menschen selbst passen mehrheitlich ihren Lebenswandel an, um den Klimawandel zu stoppen. Die einen brauchen mehr, die anderen weniger Unterstützung, damit dies gelingt.

Die Mitglieder des Europäischen Parlaments können den Rahmen für einen gerechten Ausgleich zwischen Verursachenden und Leidtragenden des Klimawandels schaffen. Was Klima- und Umweltschutz behindert, muss zugunsten klima- und umweltfreundlichen Handelns sanktioniert oder besteuert werden. Das gilt für Regeln im europäischen Finanzmarkt ebenso wie für Maßnahmen in der Industrie und in der Handelspolitik. Mit dem Lieferkettengesetz ist ein Instrument vorhanden.

In der Digitalpolitik gestaltet das Parlament seit Langem einen gerechten Ausgleich der Interessen, zuletzt mit dem Digital Service Act oder dem AI-Act. Auch dieser Transformationsprozess ist nicht beendet und bleibt elementar für junge Menschen.

Unsere Erwartung: Ein Parlament im Dialog mit jungen Menschen

Die EU beweist seit ihrer Gründung, dass sie das Zusammenleben in der EU regeln und die Beziehungen nach außen sowie die Globalisierung beeinflussen kann. Sie zeigt – unter anderem in der Digitalpolitik oder mit dem Green New Deal, mit dem Sozialen Europa und mit der Haltung gegenüber aggressiven Staaten –, dass sie ihre Bürger*innen schützen und Interessen ausgleichen kann.

Diesen Weg müssen die künftigen Mitglieder des Europäischen Parlaments im Ringen mit Europäischer Kommission und Europäischem Rat selbstbewusst weiter gehen, damit die großen Transformationsprozesse gelingen und junge Menschen eine lebenswerte Zukunft in Europa haben.

Grundsätzlich muss die Kommunikation der EU integrativer werden, um mehr junge Menschen zu erreichen. Wenn junge Menschen verstehen, wofür Europa steht, wird das Wissen über ihre Rechte und Möglichkeiten wachsen. Mehr von ihnen könnten damit Zugang zu den verschiedenen europäischen Initiativen erhalten, die darauf abzielen, ihre Lebensqualität und ihre Bildungschancen zu verbessern. Zentral bleibt deswegen der Dialog der Abgeordneten mit jungen Menschen in ihrer Region. Die Jugendsozialarbeit in katholischer Trägerschaft bietet Räume für den Austausch: in Schulen, in Maßnahmen zur beruflichen Integration, im Jugendwohnen oder in der aufsuchenden Arbeit. Sie bietet ihn bei Aktivitäten wie dem jährlichen Josefstag, der 2024 Europa als Chance in den Mittelpunkt stellt.

Düsseldorf/Berlin im März 2024
Vorstand der BAG Katholische Jugendsozialarbeit