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Positionspapier "Krieg gegen die Ukraine"

01.06.2022

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat den Glauben von jungen Menschen, in Europa könne es nie wieder Krieg geben, zutiefst erschüttert. Die vielfältigen, dramatischen Folgen sind kaum abzusehen. Millionen Kinder und Jugendliche sind mit ihren Müttern, Tanten oder Großeltern vor den Bomben- und Raketeneinschlägen und aus Angst vor massiver Gewalt gegen die Zivilbevölkerung innerhalb der Ukraine und in die Nachbarländer geflüchtet. In diesem Krieg sind aber auch Kinder und Jugendliche alleine und unbegleitet, auf der Flucht. Verboten ist die Ausreise nach wie vor für Männer zwischen 18 und 60 Jahren und damit für junge männliche Volljährige.


Die geflüchteten Menschen erfahren an vielen Orten in Deutschland sowie in ganz Europa große und unbürokratische Solidarität durch großes zivilgesellschaftliches Engagement. Die Mitglieder der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit begrüßen es sehr, dass für umfangreiche staatliche Hilfe zusätzliche Mittel im Bundeshaushalt und den Länderhaushalten eingestellt werden. Dabei wird nicht nur die erste Not gelindert, sondern es werden auch Kita- und Schulbesuche ermöglicht. Über 90.000 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine sind laut Ständiger Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK) bereits in den Schulen angekommen, bis zu 400.000 werden erwartet. Fachkräfte der Jugendsozialarbeit und der Schulsozialarbeit unterstützen junge Menschen aus der Ukraine umfassend bei der Integration in das Bildungssystem und die deutsche Gesellschaft. Respekt Coaches bieten in den Schulen aktive Demokratiebildung, Freiräume für wichtige Gespräche und Gruppenprozesse sowie konkrete Unterstützung bei Konflikten in der Schule an. Dringend gilt es nun, den jungen Menschen auch bei ihrer sozialen und beruflichen Integration und der Aufnahme einer Ausbildung zur Seite zu stehen. Dazu will und kann die Jugendsozialarbeit in katholischer Trägerschaft mit all ihren Unterstützungsangeboten beitragen. Auch wenn die große Hoffnung besteht, dass nach Ende des Krieges eine baldige Rückkehr möglich ist, sind Begleitung, Bildung und Teilhabe für junge, oft traumatisierte Menschen nun essenziell. Es gilt, Kinder und Jugendliche zu stärken und zu befähigen – ganz unabhängig von der Frage, wie lange sie letztlich in Deutschland bleiben.


Die rund 500 Jugendmigrationsdienste (JMD) bundesweit – davon über 130 in katholischer Trägerschaft – sind oft die erste Anlaufstelle für junge Menschen, die neu in Deutschland ankommen. Aktuell sind dies insbesondere auch Jugendliche und überwiegend junge Frauen aus der Ukraine. Sie arbeiten bedarfsorientiert ab der Klärung der ersten Schritte bis zur Registrierung,
bieten Hilfen bei Anträgen (AsylbLG; Wohnberechtigungsschein; Kindergeld; beginnend SGB II), unterstützen bei der Schulanmeldung und der Wohnungssuche, ermöglichen Zugänge zu Sprachkursen und beraten umfassend zum deutschen Bildungssystem und der dualen Ausbildung.


Aus der Beratung und Begleitung ukrainischer Jugendlicher, aber auch der vielen ehrenamtlich Engagierten ergeben sich allein durch die Informationsflut und rasch wechselnden Rahmenbedingungen große Herausforderungen für die Fachkräfte in den Jugendmigrations-diensten. Gleichzeitig sind die eingewanderten und geflüchteten jungen Menschen aus anderen Staaten ohne Einschränkungen zu begleiten. Möglicherweise entstehende Konflikte unter den Zielgruppen sind zu bewältigen und zu bearbeiten.


Viele Jugendliche aus der Ukraine stehen kurz vor ihrem Schulabschluss oder verfügen bereits über einen Abschluss. Angebote der Orientierung und Begleitung sowie Sprachkurse sind für diese jungen Menschen besonders wichtig. Wenn das neue Ausbildungsjahr im Sommer beginnt, ist absehbar, dass zusätzliche Ausbildungsplätze und Förderangebote der Jugendberufshilfe, zum Beispiel die Assistierte Ausbildung, dringend gebraucht werden. Dies gilt auch für zusätzliche Plätze im sozialpädagogisch begleiteten Jugendwohnen. Ein Teil der Einrichtungen des Jugendwohnens hat bereits jetzt Jugendliche aus der Ukraine aufgenommen, hier werden sie auch bei ihrer Integration in Bildung und Ausbildung sozialpädagogisch unterstützt. Der Bedarf an Wohnraum und Unterstützung wird stark steigen. Derzeit sind noch viele Jugendliche – zumeist mit ihren Familien – privat untergebracht, in den meisten Fällen stellt dies jedoch keine Dauerlösung dar. Auch für geflüchtete Ukrainer*innen, die studieren oder ein Studium beginnen wollen, ist nicht nur der Zugang zum Studium, sondern häufig auch eine finanzielle Förderung sowie ein Wohnplatz notwendig. Die Bildungsberatung (GF-H)1 berät eingewanderte und geflüchtete Studierende und unterstützt bereits zahlreiche junge Ukrainer*innen und Angehörige aus Drittstaaten, die ebenfalls aus der Ukraine fliehen mussten. Die Bildungsberatung ist häufig an den Standorten der JMD angesiedelt.


Die Zukunft junger Menschen in den Fokus stellen: Forderungen an die Politik


Der Krieg gegen die Ukraine und seine Folgen werden das Leben und die Zukunftschancen der jungen Generation in der Ukraine und in ganz Europa noch lange bestimmen. Sie beeinflussen auch konkret das Aufwachsen der jungen Menschen in Deutschland, deren größte Zukunftssorgen neben dem dramatischen Klimawandel und der Coronapandemie seit Ende Februar 2022 zusätzlich die Konsequenzen des Angriffskrieges von Russland gegen die Ukraine sind2. Besonders groß ist die psychosoziale Belastung bei jungen Menschen mit geringen Ressourcen, insbesondere wenn sie selbst schon Gewalt und Flucht erlebt haben.

Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie in dieser schwierigen politischen Situation ihr Handeln daran ausrichtet, jungen Menschen mit Unterstützungsbedarf und insbesondere allen geflüchteten jungen Menschen (nicht nur denen aus der Ukraine) die notwendigen Hilfen zu ihrer sozialen, schulischen und beruflichen Integration zur Verfügung zu stellen. In einer Krise benötigen junge Menschen noch mehr als sonst eine verlässliche Unterstützung und eine gute Ausbildung.


Deshalb gilt: Begleitung und Unterstützung müssen allen nach Deutschland geflüchteten Kindern und Jugendlichen offenstehen. Angesichts der aktuellen Not wird deutlich sichtbar, dass schnelle und unbürokratische Hilfe und Teilhabe für junge Menschen notwendig und möglich sind.


Der im Koalitionsvertrag angekündigte Paradigmenwechsel in der Asyl- und Jugendpolitik muss konsequent umgesetzt werden. Die Integrations-, Studien- und Ausbildungsbedingungen für alle geflüchteten jungen Menschen sind grundsätzlich zu verbessern. Ihr Aufenthaltsstatus ist sicherzustellen und es muss ausreichend Wohnraum zur Verfügung stehen. Bereits in der Heimat erworbene Kompetenzen und Qualifikationen sind schnell und unbürokratisch anzuerkennen.


Um Bildung, Ausbildung und Teilhabe für alle Geflüchteten sicherstellen zu können, muss in ganz Deutschland eine stabile soziale Infrastruktur abgesichert werden. Nach den Verwerfungen durch die Coronapandemie treffen in Folge des Krieges nun die rasant steigenden Energie- und Lebensmittelkosten die Träger der Jugendsozialarbeit ebenso massiv wie alle anderen Träger der sozialen Arbeit. Die vielfältigen Kostenträger auf allen Ebenen müssen daher die gestiegenen und weiter steigenden Preise den freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe kurzfristig, unbürokratisch und realistisch refinanzieren. Das gilt in der Jugendsozialarbeit insbesondere für die Angebote der Jugendberufshilfe und des Jugendwohnens.


Düsseldorf, den 18. Mai 2022
Mitgliederversammlung der BAG KJS
Fachliche Ansprechpartner*innen für diese Position:
Andrea Pingel José Torrejon